Nicht alles, was mir im Laufe meines spirituellen Wegs widerfuhr, würde ich aus heutiger Sicht noch einmal erfahren oder wiederholen wollen. Aber ist es nicht so, dass wir auch bei der Auswahl unserer Lehrmeister oder spirituellen Lehrpfade eben jene und jenes wählen, was zur jeweiligen Zeit zu uns gehört? Je nach Bewusstseinsstand gelangen wir an einen inneren wie äußeren Ort, der uns in unserem seelischen Erkennen bereichert und uns Einsichten gewinnen lässt. Innere Rhythmen verändern sich womöglich in diesen Phasen. Erlangte Reife und Sicherheit bieten uns nun die nächsten Lehren und Weiseren an, als wir es selbst sind. So meine ich, dass man sich auch in der Spiritualität dort wiederfindet, wo sich das eigene Bewusstsein ansiedelt. Und dass ein gefestigter seelisch-genährter und abgeschlossener Prozess neue Lehrmeister fordern kann.
Ich danke für jeden gegangen Schritt. Ohne Bewegung gibt es kein Weiterkommen und jedem Neuanfang liegt ein Zauber inne.
Im Nachhinein, geschult vom wahrsten Lehrmeister aller, dem Leben selbst, und aus einem ruhigen distanzierten Blick heraus, ahne ich, dass auch ich manche Schritte und Zeitpunkte des Verweilens hätte umgehen bzw. exakter angehen können. Doch jeder strafende Gedanke will schweigen. Alles im Leben hat seinen Sinn und seine Bedeutsamkeit. Viele Sucher in der Spiritualität erleben Zweifel zum Sinn des Seins, des Wegs, zur gelehrten Wahrheit, zur eigenen Wahrheit, so auch ich. All das Zweifeln ist normal und darf sein. Jedem obliegt es, zu stehen, sich zu bewegen, sich abzuwenden, zurückzukommen. Und niemand kann und darf urteilen, weil jeder Mensch auf seine Art und in seiner tiefpersönlichen Eigenheit hinwärts zu dem ist, was uns alle eint.
Tatsächlich ging auch durch jeden von mir gemachten Umweg ein Korn auf, ein Hinweis, der seinen Wert hatte, auch mal eine schockierende Unangebrachtheit, die mich aus der Bahn warf. Warum das? Ich vermute, weil eben dies meinem Naturell entspricht, bzw. in der jeweiligen Lebensphase entsprach. Ich meine in meinem Naturell ein karmisches Muster zu erkennen, das ich Schritt für Schritt in mir zu verstehen, anzunehmen und mich damit zu versöhnen lernte. Mehr und mehr gelang es mir, manch aufblitzendes Lodern in mir umzuleiten, in das, was ich erschuf, weil ich verstand, wer ich bin und was zu mir gehört.
In früheren Phasen meines Lebens schlug das Leben hohe Wellen, die mich taumeln ließen, auch den Boden unter den Füßen wegzogen. Es passierte nicht selten Dramatisches und Unberechenbares, dass ich dank meiner Kraft meistern konnte. Eine Schwangerschaft aus heiterem Himmel noch während des Studiums, ein uns an den Rand der Verzweiflung bringendes Schreikind. Dann die Diagnose einer schweren Krankheit im nahen Familienumfeld. Der vermeintlich psychische Untergang stand in diesen Zeiten ins Haus, aber nicht an. Die Alltagswidrigkeiten in den ersten drei Jahrzehnten arbeitete ich per motorisch angetriebenem Streben in den mal breiteren und schmaleren Bahnen des Lebens ab – bis ich oder das Leben mir endlich die Tore in die Spiritualität aufstieß.
Die erste Etappe der Spiritualität galt der Phase der Selbstfindung. Aussteigen aus dem ewigen Nebel, der mir die Welt verschleierte und in dessen Dunst ich innerlich unergriffen meinen Lebensaufgaben nachkam. Keiner um mich erahnte, wie ich vermeintlich Lebensstarke mich fühlte. Nicht einmal ich selbst erkannte meine innere Vorsichtshaltung und Mutlosigkeit, mich gefühlvoll in dieser Welt zu verankern.
Indem mich spirituelle Sichtweisen überfluteten, lernte ich mich besser kennen und demaskieren. Ich näherte mich mir selbst an und erfuhr zunehmend meinen wild pochenden Herzschlag. Statt verschattet dahinzuleben und mich auf schüchterne Art durchs Leben zu mogeln, setzte ich mich der stürmischen Rede meiner Seele aus und erfuhr innige Liebe zu der Welt und den Menschen.
Sobald ich meine Authentizität lebte, wurde eins gewiss: Das Leben ließ mich nicht untergehen. Gott war und ist in jeder Sekunde bei mir. Allerdings musste ich bereit sein, Gott zu vertrauen und seiner Schwingung lauschen. In langen Zeiten meines Lebens vernahm ich den Geist Gottes nur in den sehr schweren Momenten und Prüfungen des Lebens.
Die zweite Dekade war weniger geprägt von Erlernen und spirituellen Aneignungen. Es waren vielmehr kleine und kurze Begegnungen mit weisen Menschen, in deren Glanz ich begriff und mir größere philosophisch-spirituelle Kontexte zugänglich wurden. Mehrmals erfuhr ich, dass allein dem Umstand der Begegnung mit ihnen Befruchtendes innewohnt, um nachhaltig mein Bewusstsein zu formen. Es bedurfte nun nicht mehr der vorherigen langwierigen Auseinandersetzung inhaltlicher Art, wie Familienaufstellungen oder andere spirituell geprägte Herangehensweisen. Meine inneren und tatsächlichen Fragen waren zielgerichtet und Botschaften und Ratschläge führten mich stringenter und geradliniger.
Unvergessen bleibt mir u. a. eine nur einstündige Begegnung und die wenigen Worte eines Weisen in Myanmar, der von den Einheimischen als Erleuchteter angesehen wird. Sein Rat und sein Wissen um das Anstehende und Mögliche in mir lösten eine Art Bewusstseinssprung aus. Was er mir mitgab, trug Früchte in meinem Herzen, umspielte meine Seele auf zarte Weise und setzte einen weiteren Anker im Leben.
So weiß ich heute umso mehr, dass das Leben spannend und ein riesengroßes Geschenk ist. Zugleich offenbart es sich immer wieder als Rätsel mit scheinbar unverständlichen Puzzleteilen. Schwierigkeiten und Herzensschmerzen bleiben nicht erspart, aber die Freude in mir selbst lehrte und lehrt mich, all das leichter zu tragen und meine eigene wertvolle Kraft nicht zu schmälern, sondern sinnvoll einzusetzen.
Mit jeder Herausforderung, jedem beherzten Ja voll Mut und Hingabe in göttliche Kraft kann jeder der Erfüllung der eigenen Aufgaben näher und in seine selige Freude kommen. Was gibt es Schöneres als in sich und im Außen am „richtigeren Fleck“ zu sein, den tragenden Boden unter den Füßen zu spüren, und im sicheren Halt, diese herrliche Erde und das Menschsein zu erkunden.